Kirchen und Kapellen

Kapelle auf der Gänsevöhde

Werl

Einst krönender Abschluss 

Selten sind katholische Gotteshäuser nach ihrem Standort benannt und nicht nach ihrem Patrozinium. Im vorliegenden Fall war dieser Standort einst ein Ort von großer Einprägsamkeit: die Gänsevöhde, eine große öffentliche Freifläche vor dem Melstertor. Mit der Kapelle erhielt diese Fläche schon 1680 einen krönenden baulichen Abschluss. 1878 ergänzte man Eingangstor und Mauer. Heute ist alles anders: Zwischen Stadthalle, Parkplatz und einer Zufahrt liegt die Kapelle in einer Restfläche mit hohen Bäumen.

Beschreibung

Die Kapelle Mariä Heimsuchung auf der Gänsevöhde besitzt einen achteckigen, jedoch in einer Dimension verlängerten Grundriss. So ergibt sich ein eingeschränkt längliches Gebäude, dessen Schmalseite
zum Platz hin mit drei rundbogigen Portalen versehen ist. Strebepfeiler sind den acht Ecken des Gebäudes vorgelegt, rundbogige Fenster finden sich in den Seitenwänden, ein Bogenfries folgt der Dachtraufe. Darüber liegt ein Walmdach mit Dachreiter. Einziger Schmuck ist das Wappenfeld über dem Eingang.
Der schlichte Innenraum ist allein durch Türen und Fenster gegliedert. Ein umlaufendes Gesims trägt eine schmucklose Wölbung. Der Boden besteht aus diagonal verlegten Steinplatten. Dieser Raum ist Gefäß für den bestimmenden Altar aus Tisch, Leuchterbank, einer unteren Zone (Podestzone), dem Hauptgeschoss mit Säulen und einem gesprengten Giebel mit gerundeten Ansätzen. Raum und Altar sind ein fein abgestimmtes und untrennbares Ensemble.

Liturgie und Raum
 
Die Kapelle auf der Gänsevöhde ist keine Gemeindekirche. 
Sie ist ein Ort der Andacht und des Gebetes. Die Aussetzungsnische des Altares und das Marienbild darüber sind die Bezugspunkte des Innenraumes. Im Sinne barocken Raumdenkens ist allerdings auch die ganze Gänsevöhde Teil der kleinen Kapelle. Die große Freifläche ist für die Kapelle ein Vorraum, ein Gemeinderaum, die Kapelle für die große Freifläche ein krönender Abschluss, ein Altarraum.

Ausstattung

Der mit dem Gebäude errichtete Altar ist dem Paderborner Bildhauer Heinrich Gröne zugeschrieben. Ein Wappen weist ihn als Stiftung des Paderborner Domgeistlichen Franz Freiherr von und zu Frentz aus. Die knorpelartigen, teigigen Ornamente in den Kartuschen und in den Manschetten der Spiralsäulen sind zeittypisch.
  In die Podestzone kann eine Aussetzungsnische für die Aufstellung der Monstranz mit dem Leib Christi eingestellt werden. Diese Nische hängt heute rechts an der Außenwand. Das Bild der Muttergottes von Werl im Hauptgeschoss ist auf die Kapellenwand aufgemalt. Es ist eine Rekonstruktion des Restaurators Johann Mühlenbein (1961), soll jedoch ähnlich schon zuvor existiert haben. 1926 baute man an der Stelle des Wandbildes ein Relief der Schutzmantelmadonna von Bildhauer August Wäscher ein. Es hängt seit 1961 über dem Eingang. Auf Wandkonsolen finden sich außerdem zwei barocke, farbig gefasste Holzskulpturen: hl. Franziskus von Assisi und hl. Antonius von Padua.

Von der Idee zum Bau

Die Kapelle auf der Gänsevöhlde entstand 1680 als Prozessionskapelle, Stiftung des Paderborner Domgeistlichen von Sintzig (Wappen über dem Eingang). Sie diente einmal im Jahr im Zuge der großen Werler Stadtprozession als Ort für das Allerheiligste und für das verehrte Gnadenbild der Muttergottes von Werl, wenn auf der Gänsevöhde als vierter und letzter Station die Predigt gehalten wurde. Über diesen Tag hinaus erinnert sie permanent an Gottes Gegenwart in prominenter Lage vor dem Stadttor. 1828–36 war sie Ort des evangelischen Gottesdienstes. Zum 200. Jubiläum wurden 1880 Strebepfeiler und Traufgesims angebracht und die Seitentüren anstelle von Fenstern eingebrochen. 1988 folgte eine umfassende Restaurierung mit Einbau eines neuen Dachwerks und einer neuen Wölbung.

Literatur

Best, Gerhard / Halekotte, Theo: Beispiel des westfälischen Barocks für künftige Generationen gerettet. Die Renovierung der Kapelle auf der Gänsevöhde im Jahre 1988 und ein Rückblick in ihre Geschichte. In: Werl gestern heute morgen, 1988, S. 44–56.

Otten, Heinrich: Architektur und Kunst der Wallfahrt nach Werl. In: 350 Jahre Marienwallfahrt Werl 1661–2011, S. 289–348, hier S. 293–304.

Text und Fotos: Dr. Heinrich Otten